Nydamhalle, Landesmuseum Schloss Gottorf Schleswig, Juli bis Dez. 2010
im Rahmen des Projektes VERWEHTE ORTE
- Nydamhalle. Rauminstallation, Acrylglas, Holz, Tusche, Metall, 5 x je 305 x 205 cm -
- Nydamhalle. Rauminstallation, Acrylglas, Holz, Tusche, Metall, 5 x je 305 x 205 cm -
Text aus Katalog „VERWEHTE ORTE“, ISBN 978-3-00-031562-6
Vergangene, verlorene, verwehte Orte sind schon seit Jahren ein zentrales Thema von Kristin Grothe. Vielfach sind es Reise-Eindrücke,
die sie inspirieren: Landschaften, Architekturen, Industriebauten – meist menschenleere Stätten, die allerdings vom Menschen
geprägt sind; Orte, an denen eine Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen hat. Das Thema der »Köpfe« ist dagegen neu.
Sie haben sich entwickelt aus landschaftlichen Formen, die eigentlich für einen anderen Zusammenhang gedacht waren. Zu »Köpfen«
oder »Schädeln« wurden sie durch eine neue formale Zusammenfügung, sie »blitzen« in Landschaften und antiken
Architekturen, vor allem Amphitheatern, »ungewollt […] durch, wenn ich mich intensiv in die Strukturen vertiefe« (Kristin
Grothe).
Die auf Gottorf präsentierten »Schädel« sind inspiriert von der überwältigenden Ausstrahlung des Nydam-Bootes.
In ihrer reduzierten, an Schatten gemahnende Formgebung klingt die Grunderfahrung von der Vergänglichkeit menschlichen Daseins an. Zugleich
wecken sie durch die unmittelbare Verbindung zu dem eisenzeitlichen Nydam-Boot vielfältige konkrete Assoziationen. In ihrer Materialität,
dem Holz, nehmen sie das Material des Bootes auf, das als Moorfund die Jahrtausende überdauert hat. In ihrer dunklen Farbigkeit – sie sind
mit schwarzer chinesischer Sumitusche eingefärbt – lassen sie an die konservierende Wirkung des Moores denken, in dem auch menschliche
Körper unverwest erhalten bleiben.
Indem die »Schädel« auf transparenten Acrylglasplatten von der Decke herab frei im Raum schweben, scheinen sie den Dimensionen
von Raum und Zeit enthoben - wie Schemen aus der Vergangenheit. Die Vielzahl der Köpfe auf jeder Platte erinnert an große Scharen von
Menschen, zumal wenn sich die Köpfe auf den durchsichtigen Platten im Raum überlagern. Dort, wo sie aus dem Boot emporzuwachsen scheinen,
erinnern sie an die Mannschaft, die es seinerzeit ruderte. Es waren beträchtliche Truppen, die vor beinahe zweitausend Jahren in solchen
Booten, zum Kampf gerüstet, über das Meer fuhren; zahlreiche Spuren von Kämpfen finden sich in den Moorfunden von Nydam. Das Boot
selbst wurde als Opfergabe an die Götter versenkt. Menschen oder Götter, Krieger oder auch Opfer – in der verdichteten Bildsprache von
Kristin Grothe werden Geschehnisse der Vergangenheit als gespürtes Wissen gegenwärtig. Sie wehen als reale Schwingungen im Raum wie Schatten
aus der Vergangenheit sehr eindringlich in unsere Zeit herein.
Dr. Uta Kuhl
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